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Reiseblog aus Gambia – Eindrücke und Gedankenanstößen

Reiseblog – Eindrücke aus Gambia ( Westafrika) mit Gedankenanstößen

Vergänglichkeit

Vor drei Tagen sind wir in Gambia angekommen. Dort besuchen wir einen Freund, der von hier stammt und mit einer Holländerin verheiratet ist. Er hatte mich eingeladen, mir seine Welt zu zeigen.

Wir landeten während eines heftigen Gewitters. Die ersten Eindrücke sammelten wir auf dem Weg vom Flughafen zu sich nach Hause. Die Stadt lag im Dunkeln. Bei Regen fällt regelmäßig komplett der Strom aus. Riesige Pfützen, ja fast schon Überflutungen auf den Straßen, die aus Lehm bestehen. Wir brauchten Stunden, bis wir bei der Wohnung ankamen, die er für uns gemietet hatte. Dort erwartete uns eine Mischung aus vergangener Schönheit (Fliesen, Stuckdecken, Leuchter) und heruntergekommener, ungepflegter Einrichtung. Ich erinnerte mich an die Romane Isabelle Allendes, in denen  Schilderungen der Vergänglichkeit einen großen Platz einnehmen. Vergänglichkeit, die in Zusammenhang mit der Natur steht. Die Luftfeuchtigkeit, die Regenmassen und die Hitze darauf folgend spiegelt uns wieder, wie schnell sich Schönheit und Reichtum verwandeln kann. Nichts Materielles ist für die Ewigkeit bestimmt. Wenn wir das zu verhindern versuchen, dann handeln wir gegen ein Naturgesetz. Stattdessen können wir uns auf Erneuerung konzentrieren, in der Wandlung. Erneuerung kann bedeuten, dass wir Altes, was der Vergänglichkeit anheim fällt, gehen lassen und Neues einladen, sich in uns zu entwickeln.

Selbstverständnis

Als wir in Gambia ankamen, hatte es vorher ein kurzes, heftiges Gewitter gegeben. Das hatte einen der üblichen Stromausfälle hier in Serekunda zur Folge. Es war spät, es war dunkel und wir waren müde. Wir legten uns in unsere Betten und schliefen erst einmal eine Runde. Morgens früh erwachte ich und suchte meine Toilette auf. Nach vollbrachter Tat suchte ich Klopapier. Vergeblich. O.K., dachte ich, dann wasch ich mich. Öffnete den Wasserhahn, aus dem kein Tropfen kam. Hm, kein Strom, kein Wasser, kein Klopapier. Ich nahm meine letzten Tempotaschentücher zur Hilfe, war aber doch irritiert.

Leider wiederholte sich das Fehlen von Wasser und Strom in den nächsten Tagen. Das machte uns spürbar deutlich, wie essentiell doch beides ist. Vor allem Wasser – zum Waschen, zum Kochen, für die Toilettenspülung.

Das Fehlen gehört hier zum täglichen Alltag. Es zeigt uns, wie selbstverständlich wir diese zwei Dinge hinnehmen und wie wenig dankbar wir dafür sind. Da sie aus unserem Bewusstsein sind, das es sich um zwei große Geschenke handelt, die uns zur Verfügung stehen und uns unser Leben leichter und bequemer machen

Recycling

Wir fahren auf den größten Markt in Serekunda. Dort möchte unser afrikanischer Freund ein Teil kaufen, das er für seinen Sanitärbetrieb benötigt. Der Markt liegt an einer Straße, die sich etwa 2 Kilometer erstreckt. Wir sehen alle möglichen Stände und Straßenverkäufer. Wir sehen eigentlich alles, was wir uns vorstellen und nicht vorstellen können. Von Bügeleisen, Kabeln, gelesenen Büchern, Eimern, Gemüse, Obst, Autoteile etc. Der größte Teil ist Second Hand. So sehen auch die Autos aus. Wir sehen Autos mit deutscher, mit holländischer Aufschrift, uralte Mercedes 190 Diesel, die aus dem letzten Loch pfeifen und dennoch als Taxis bereitstehen. Wir fahren langsam über diese Hauptstraße, durch Menschenmassen, hinter uns Lastwagen, Kleinbusse, umhüllt von einer Staubwolke.

Es scheint mir, dass alles, was wir aussortiert haben, dort angekommen zu sein. Aufbereitet wird es hier wieder angeboten. Es ist unfassbar, Dinge, die wir auf dem Sperrmüll nicht mehr angeschaut hätten.

Mir wird mal wieder bewusst, wie verwöhnt, was für eine Wegwerfgesellschaft wir doch sind. Menschen, die sich diesen Luxus nicht leisten können, werden kreativ und finden Lösungen, kaputte Dinge doch noch brauchbar zu machen. Unser hoher Lebensstandard hat uns irgendwie bequem gemacht, obwohl das nicht unbedingt sehr nachhaltig ist. Von daher sind die RepairCafés ein guter, aber kleiner Ansatz zur Besserung.

Und dass wir unsere Autos, die wir aus Gründen des Umweltschutzes aussortieren, um sie dann auf der anderen Seite der Welt die Umwelt belasten lassen, wirft auch Fragen auf. Ich finde, es ist dringend erforderlich, andere Lösungen der Energie und des Fortbewegens zuzulassen. Ich bin sicher, dass es schon viele gute Ansätze gibt.

Wasser

Das Thema Wasser scheint uns hier in Gambia zu begleiten. Etwa anderthalb Wochen hat man gebraucht, um den Fehler in unserem Haus zu beheben. Immer wieder wurde unser Tank gefüllt und abends, wenn wir uns vor dem Schlafen noch kurz erfrischen wollten, war kein Tropfen mehr vorhanden. Es gelang uns eigenartigerweise diesen Zustand relativ gelassen und mit Humor zu nehmen. Nun, seit ein paar Tagen haben wir abends und morgens Wasser und genießen diesen Umstand in vollsten Zügen.

Gestern kam Fatu, Pa‘s Nachbarin auf sein Grundstück. Da Pa ja mit einer Holländerin verheiratet ist, bekam er die Möglichkeit, sich einen eigenen Brunnen zu bohren und Solarstrom zu produzieren. Sein Ziel war, unabhängig von diesen beiden essentiellen Dingen zu werden. Fatu brachte ihr anderthalbjähriges Baby mit, das sie aufgenommen hatte, da seine Mama gestprbem war. Sie wollte es hier waschen. Warum sie es nicht bei sich zu Hause waschen würde, fragte ich. Sie hätten tagsüber nur einige Tropfen Wasser zur Verfügung. Das andere Wasser ging in die Hotels zu den Touristen. Erst gegen 1 Uhr nachts käme mehr Wasser aus der Leitung. Dann würde sie schnell aufstehen, um Wasser in Eimern zu sammeln, damit es für den Tag reicht.

Ich bin immer wieder sprachlos, wenn ich so etwas höre. Derjenige, der Geld hat, wird bevorzugt. Derjenige, der keinerlei Chancen hat, bekommt das, was abfällt. Jeder Mensch hat meiner Meinung nach ein Geburtsrecht. Ein Recht, in Würde zu leben und Liebe zu erfahren. Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist völlig aus den Fugen geraten. Was kann ich in mir verändern, dass sich das im Außen widerspiegeln darf?

Glück

Letzten Sonntag verbrachte ich mit unserem afrikanischen Freund einen entspannten Tag an einem Traumstand in der Nähe von Serekunda/ Gambia. Nachmittags füllte sich der Strand mit vielen Einheimischen. Viele Jungens, die Fußball am Strand spielten, schick gekleidete afrikanische junge Frauen, die mit ihren Freunden ausgingen. Es herrschte eine fröhliche, ausgelassene, unbeschwerte Stimmung.

Auf dem Rückweg fragte ich Pa, der ja mit einer Holländerin verheiratet ist und sich jedes Jahr für einige Monate dort aufhält, was er meint. Wer glücklicher wäre, hier die Menschen oder bei uns in Holland oder Deutschland. „Ganz klar hier“, sagte er. Wieso er der Meinung wäre, frage ich. „Ja, hier arbeitet man so lange, dass man genügend zum leben hat.  Da wir eh zu mehr keine Chancen haben, hören wir dann auf. Der Rest der Zeit verbringen wir mit schönen Sachen. Schau mal rum, überall sitzen die Menschen in Grüppchen auf der Straße, unterhalten sich, hören Musik, trinken „Green Tea“.. , spielen Fußball miteinander. In Holland dagegen ist man nur hinterher, noch mehr und noch mehr anzusammeln oder das was man hat, zu erhalten.“

Eigentlich bedarf es keinen Kommentar dazu.

Nur bei mir stellt sich alles gerade auf den Kopf. Wir schauen auf die armen Länder mit Mitgefühl. Vielleicht stellt sich das Ganze ja umgekehrt dar. Vielleicht haben diese Menschen hier Grund, auf uns mit Mitgefühl zu schauen?

Solidarität

Immer wieder fällt mir in Gambia auf, wie hilfsbereit unser Freund seinem Umfeld gegenüber war. Da er ja mit einer Holländerin verheiratet ist, genießt er gewisse Privilegien. Einmal im Jahr schicken die beiden einen Container nach Gambia mit gebrauchten Gegenständen, Diese werden entweder dort selber verwendet oder verkauft. So ist unser Freund für die dortigen Verhältnisse gut aufgestellt. Zudem hat er einen Brunnen und eine Solar Anlage, so dass er unabhängig von den häufig vorkommenden Blackouts ist.

Wie selbstverständlich gibt er seiner Nachbarin Strom und Wasser, anderen leiht er den Hochdruckreiniger, anderen sein Auto. Auf die Frage, ob es hungernde Menschen in Gambia gibt, antwortete er mir: Es gäbe wirklich arme Menschen, aber keiner würde hungern. Falls einer nichts zu essen hätte, bekäme er in irgendeinem Haus etwas. Keinem Fremden würde Essen verwehrt. Auch wir, wurden immer reichlich bewirtet.

Dieses tiefe Gefühl von Solidarität hat mich sehr berühr

Im Sein ruhen

Mittlerweile bin ich seit 3 Wochen wieder in Deutschland. Vieles von meinen Eindrücken aus Gambia arbeitet in mir. Zum Beispiel die Fähigkeit der Menschen dort, im Sein zu ruhen. Oft saßen wir auf dem Grundstück unseres Freundes unter seinem herrlichen Mangobaum. Ich hatte meinen EBook Reader mit und las. Ab und zu gesellte sich seine Nachbarin zu mir. Sie setzte sich einfach auf einen Stuhl und tat nichts. Mich beschäftigte die ganze Zeit die Frage, was macht sie denn jetzt gerade. Erwartet sie eine Unterhaltung mit mir? Wie geht das, nichts zu tun? Hat sie nichts anderes zu tun? Ich denke, das sind typische westliche Fragen. Weil wir immer etwas mit Nutzen und Ziel verbinden. Dadurch kommt das Sein, das bedingungslose Dasein völlig zu kurz. Das ist doch unser Geburtsrecht. Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich darin üben möchte – mich auf mein Sein einzulassen, ohne immer etwas leisten zu müssen.

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